Wenn das Brot-und-Butter-Geschäft in der Zahnarztpraxis zuverlässig, hochwertig und schnell erledigt und damit die Effizienz und Patientenbindung gesteigert werden kann, ist das eine willkommene Strategie. Die Antwort darauf sind Bulk-Fill-Composites, die die Füllungstherapie vereinfachen, weniger fehleranfällig machen und gleichzeitig Zeit sparen. Seit mehr als zehn Jahren auf dem Markt, ist die Materialklasse dennoch das Stiefkind der Composites. Warum ist das so und welche Anforderungen müssen Bulk Fills erfüllen, um den Durchbruch zu schaffen?

Diese Fragen haben wir unserer Expertin Anja Stouten vom Produktmanagement und unserem Experten Dr. Benjamin Gebhardt von der Abteilung für Compositeentwicklung in der Forschung und Entwicklung gestellt.

Bulk-Fill-Composites ermöglichen eine vereinfachte und zeitsparende Füllungstherapie, die gleichzeitig weniger fehleranfällig ist als die herkömmliche Inkrementtechnik. Warum halten viele Zahnärztinnen und Zahnärzte dennoch an den Universalcomposites und damit der inkrementellen Schichttechnik fest?

Anja Stouten: Die Ursache dafür liegt für mich vor allem in der Ausbildung, denn an den Universitäten wird bis heute die klassische Füllungslegung als Gold-Standard gelehrt. Die Bulk-Fill-Technik erfordert eine andere Vorgehensweise, was sich auch auf die Praxisabläufe auswirkt. So muss zum Beispiel das zahnärztliche Team auf die Materialien geschult werden, um die richtigen Produkte für eine Behandlung parat zu legen. Hinzu kommt ein wirtschaftlicher Aspekt, denn Universalcomposites reduzieren die Anzahl der Materialien in der Warenhaltung.

Was ist Ihrer Meinung nach der grösste Vorbehalt, den Zahnärztinnen und Zahnärzte gegenüber Bulk-Fill-Composites haben?

Anja Stouten: Das ist zunächst einmal die vermeintlich mangelnde Ästhetik, denn die ersten Bulk-Fill-Materialien waren zu transluzent. Diesem Phänomen sind wir mit der Entwicklung der patentierten Aessencio-Technologie begegnet. Während der Polymerisation werden die anfänglich transluzenten Composites opaker und erzielen dadurch eine natürliche Ästhetik. Auch die Aushärtungstiefe ist für viele Zahnärztinnen und Zahnärzte immer noch ein Thema, nach dem Motto, wenn die Aushärtung viel schneller erfolgt, kann sie nicht zuverlässig sein. Unsere Antwort darauf ist der patentierte Photoinitiator Ivocerin. Er hat eine höhere Quanteneffizienz und wirkt damit wie ein Polymerisationsbooster. Das Material ist ästhetisch und härtet schnell und trotzdem zuverlässig aus. Eine grosse Herausforderung ist für Zahnärztinnen und Zahnärzte der Schrumpfungsstress von Composites, denn auch der wird im Rahmen der klassischen Füllungslegung als Gold-Standard in Hinblick auf Bulk Fill immer wieder thematisiert. Die Befürchtung der damit einhergehenden Konsequenzen wie Marginal gaps (Mikroleakage) und Sekundärkaries hält sich vehement. Inzwischen zeigt die Studienlage zu Bulk-Fill-Composites ein komplett anderes Bild und die Materialklasse ist durchaus vergleichbar mit konventionellen Composites.[1-3] Mit der Zugabe unseres Kettenreglers zu Tetric PowerFill erzielen wir eine gleichmässigere Polymerisation, was den Schrumpfungsstress reduziert und die marginale Adaptation verbessert. Gleichzeitig bleiben die physikalischen Eigenschaften auf dem bewährten Niveau.

Welche Verbesserungspotenziale gibt es bei Bulk-Fill-Composites aus Entwicklersicht noch?

Dr. Benjamin Gebhardt: Die Ästhetik unserer Bulk-Fill-Composites ist zwar bereits auf einem hohen Niveau, aber hier gibt es noch Verbesserungspotenziale, die noch nicht ausgeschöpft sind. Beim Thema Materialschrumpf haben wir mit dem Kettenregler einen wertvollen Anfang gemacht, aber auch bei dieser Technologie ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, wenn man zum Beispiel in Richtung Performance und chemische Einbindung aller Fragmente in die Matrix denkt. Ein weiterer Punkt ist sicher die Erhöhung der Durchhärtungstiefe. Auf der einen Seite sind 4 mm nicht für alle Kavitäten ausreichend, eine Erhöhung auf 6 oder gerade 8 mm würden der Zahnärztin oder dem Zahnarzt ersparen, sich über Kavitätentiefen Gedanken machen zu müssen. Gleichzeitig würde auch die Sicherheit und Fehleranfälligkeit der Materialien bei der Belichtung in weniger tiefen Kavitäten erhöht werden.

Wohin geht Ihrer Meinung nach der Trend in der Composite-Entwicklung?

Anja Stouten: Da bei vielen Zahnärztinnen und Zahnärzten die Vereinfachung und Effizienzsteigerung sowohl in der Praxis und den Arbeitsabläufen als auch bei der Materialauswahl im Fokus stehen, belegen Universal-Composites immer noch Platz 1 bei der Füllungstherapie. Bulk-Fill-Materialien sind meines Erachtens hierbei völlig unterrepräsentiert, dabei würden sie so viele Bedürfnisse einfach erfüllen. In den letzten Jahren ist die Entwicklung der fliessfähigen Materialien im Verhältnis zu den modellierbaren Composites gestiegen und ich denke, dieser Trend wird weitergehen. Ich kann mir vorstellen, dass es in Zukunft Composites geben könnte, die heutige Grenzen verschieben und/oder eine sinnvolle Kombination aus der konventionellen und der Bulk-Fill-Welt bieten.

Dr. Benjamin Gebhardt: Der Trend der Vereinfachung und Effizienzsteigerung im Workflow wird sicher weiter zunehmen. Zu meiner Schulzeit hiess es, eines Tages werden wir ein Gerät haben, mit dem wir alles machen können: telefonieren, Musik hören, Fotos und Videos aufnehmen und wie mit einem Minicomputer arbeiten. Das ist heute mit Smartphones Realität. Aus meiner Sicht werden Zahnärztinnen und Zahnärzte in Zukunft ein Universalmaterial haben, mit dem sie alle Restaurationen zuverlässig und ästhetisch fertigen können. Ein weiterer Trend sind sicher «intelligente», biomimetische Materialien. Aktuell sind bei Restaurationen die umgebende Zahnhartsubstanz und die Nachbarzähne einer erhöhten Säurebelastung ausgesetzt. Denn heutige Materialien sind nicht in der Lage, Plaque-Anlagerungen effektiv zu verhindern und erhöhte Säurekonzentrationen wie die natürliche Zahnhartsubstanz (Hydroxylapatit) abzupuffern. Das kann zu weiteren Läsionen und Füllungen führen. Materialien, die die natürliche Remineralisation unterstützen können, wären ein enormer Vorteil für die Patientinnen und Patienten. Auch wird der Preisdruck in der Dentalmedizin weiter steigen bzw. weniger einkommensstarke Bevölkerungsschichten werden Zugang zu ästhetischer Zahnmedizin erhalten. Daraus folgt die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte und Workflows durch die Zahnärztinnen und Zahnärzte und die Industrie. Hierbei werden auch die Grenzen zwischen digitaler und analoger Zahnmedizin zunehmend durchlässiger werden.

Was dürfen wir von Ivoclar erwarten?

Anja Stouten: Unser Fokus liegt nach 100 Jahren Innovation auch weiterhin auf der Entwicklung innovativer Materialien. Es ist uns dabei ein grosses Anliegen, möglichst viele Anwenderinnen und Anwender einzubeziehen und unsere Materialien für ihre Bedürfnisse zu entwickeln und zu optimieren. Daher dürfen Sie erwarten, dass wir in Zukunft weitere Innovationen, die Ihr Leben in der Praxis erleichtern, wie zum Beispiel unsere 3s PowerCure-Produktfamilie, vorstellen werden. Seien Sie gespannt und behalten Sie uns im Auge... .